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Wie viel Platz braucht ein Universum?

Wie groß ist das Universum? Wie viele Sterne gibt es im Universum und wie viele Galaxien? Passen die alle bei uns hinein?

Der Raum war circa 5½ x 6½ m groß und etwa 4 m hoch. „Das müsste reichen“, meinte Ruth Grützbauch. Wir wussten ja schon früher, dass das Universum in einer Nussschale Platz gehabt hatte. Aber das war vor wie vielen Millionen Jahren? Genau vor 14,8 Milliarden Jahren. Aber heute?

„Per Lastenrad durch die Galaxis“

Bild Ruth Grützbauch: Mit dem Lastenrad durch die Galaxis

Ruth Grützbauch: Mit dem Lastenrad durch die Galaxis.

Ruth Grützbauch erzählt in ihrem Buch „Per Lastenrad durch die Galaxis“ von ihren Anfängen als junge und ehrfurchtsvolle Studentin der Astronomie in den in Würde und in den Wirren der Zeit gealterten Sälen der Wiener Universität, von ihrer Tätigkeit am Jodrell Bank Discovery Centre, dem größten Radioteleskop der Welt in der Nähe von Manchester in England, und ihrem Aufenthalt am Mauna Kea beim Deep Infrared Sky Survey, einer großflächigen „Beobachtungskampagne, die einen beträchtlichen Teil des Himmels mit hoher Auflösung und extrem langer Belichtungszeit abbilden soll“ (Grützbauch, S. 53). Sie schlüpft in die Rolle der Astronautin Kathryn Thornton (Grützbauch, S. 156), um uns den Zusammenbau und die Funktionsweise der Internationalen Raumstation ISS zu erklären.

Ihre Erzählung reicht bis zum Urknall zurück und in die Zukunft unseres Universums hinaus. Ganz nebenbei erklärt sie, warum das Hubble-Teleskop so lange und so gut funktioniert (Grützbauch, S. 158) und was der Unterschied ist, ob man eine Person auf einem Skateboard vor sich her schiebt oder auf Händen trägt, eben der Unterschied von Masse und Gewicht: Masse ist eine Eigenschaft, Gewicht ist eine Kraft.

Natürlich passen in ihr mobiles Planetarium auch die unzähligen Sterne und Galaxien. Ein eigener Zählversuch: Wir nehmen alle Sandkörner dieser Erde (richtig gelesen: alle!) und multiplizieren ihre Anzahl mit 10.000, dann haben wir eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Sterne es im Universum gibt. Und nach den Berechnungen der Nachfolgerinnen und Nachfolger von Adam Riese gibt es ungefähr 2 Billionen Galaxien.

Kein Wunder, dass es bei ihrer Entstehung so ähnlich zugehen musste und muss wie auf der Wiener Tangente, der meistbefahrenen Umfahrungsstraße einer europäischen Großstadt zur morgendlichen und abendlichen Stoßzeit. Gut wäre es, wenn mehr Abstand zwischen den Autos und den anderen Verkehrsteilnehmenden gehalten werden könnte. Wenn es nämlich weniger Teilnehmende am Sternen-Trubel gibt, gibt es weniger Chaos und die Galaxien und ihre Sterne werden langsamer erwachsen, leben länger und sterben später als ihre kleinen, hektischen und drängelnden Nachbarn. Bei uns in der Milchstraße geht es inzwischen relativ ruhig und zivilisiert zu. Der Zusammenstoß mit der Andromeda-Galaxie lässt noch auf sich warten.

Was ich nicht gewusst habe, war, dass das Hubble-Teleskop als Prototyp für die Konstruktion und den Bau der Internationalen Raumstation ISS entwickelt wurde und den Weltraum als Arbeitsplatz von Menschen eröffnet hat (Grützbauch, S. 168). Hier erklärt Ruth Grützbauch auch ganz unaufgeregt und gutgelaunt zum einen das nicht so leicht nachvollziehbare Spiel zwischen wissenschaftlichen Entscheidungsprozessen und wer bestimmt, welche Projekte und wenn ja, wie sie finanziert werden. Aber auch, am Beispiel von Robert William, wie Wissenschaft manchmal ganz anders tickt als erwartet: „… der damalige Direktor des Space Telescope Science Institute, das für das Hubble verantwortlich ist, hatte allerdings eine andere Idee. In diesen schwierigen Anfangszeiten des HST (Hubble Space Telescope, Anm. der Verf.) wollte er ein ziemlich riskantes Projekt durchführen, das im Nachhinein betrachtet die Erforschung des frühen Universums und der Entstehung von Galaxien revolutionieren sollte: das Hubble Deep Field.“ (Grützbauch, S. 168) Manchmal braucht es den ganzen Mut einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers, genau das zu tun, was er oder sie sich vorgenommen hat, um der Welt eine neue Erkenntnis nahezubringen. Robert Williams stieß damit das Tor bis in die für uns gerade noch wahrnehmbaren Bereiche unseres Universums auf. Bereiche, die wir natürlich nicht mehr mit bloßem Auge oder mit Fernrohren erkennen können, sondern mit Verfahren, die die Beobachtungen soft- und hardwaremäßig verarbeiten und uns so zugänglich machen. Zusätzlich wurden und werden die Daten dieser Forschung der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Open Source im besten Sinne.

Ruth Grützbauch vermittelt uns unangestrengt und doch spannend, unterhaltsam, aber ohne Klamauk und vor allem nachvollziehbar, ohne die Objekte ihres Berichts zu verniedlichen (nur ein einziges Mal habe ich „Sternlein“ gelesen) auch das Ende, nein, nicht unser Ende, als Menschheit wird es uns dann schon lange nicht mehr geben, sondern das langsame Ausdünnen des Universums, den Zerfall selbst der Schwarzen Löcher, die eisige Ewigkeit, in der nichts alles ist und alles nichts.

Manchmal hätte ich mir vielleicht noch eine kleine ergänzende Information gewünscht, zum Beispiel bei der Blau- und Rotverschiebung eine Maßangabe, ein andermal eine Erklärung, was „Eisvulkane“ sind, oder die exakte Definition einer „sphärische Aberration“. Nicht als Fußnote oder großen und langatmigen Lexikon-Eintrag, sondern als kleines Detail in einem zierlichen Glossar.

Sterne und andere Himmelskörper

Bild Arnold Hanselmeier: Dimensionen des Weltalls

Arnold Hanselmeier: Dimensionen des Weltalls.

Wir können aber bei Arnold Hanslmeier in seinen „Dimensionen des Weltalls“ weiterlesen und in seinen 288 Fragen nachschlagen. Arnold Hanslmeier durchmisst das Universum, indem er von dessen Dimensionen ausgeht: von unserer Position auf der Erde, ja, sie ist eine Kugel, obwohl die literarische Version einer Scheibe, die von den vier Elefanten Berilia, Tubul, Groß-T’Phon und Jerakeen getragen wird, welche wiederum auf dem Rücken der Sternen-Schildkröte Groß-A’Tuin stehen, durchaus ihren Reiz hat, über unseren Trabanten Mond, unseren Hauptstern, der Sonne (Hanslmeier, S. 50–75) über das System der Planeten und dem „Kosmos der Sterne“ (Hanslmeier, S. 104–131) inklusive der Schwarzen Löcher bis hin zu den Galaxien und dem Anfang und dem Ende des Universums, kurz gesagt, über so gut wie alles, was in dieser aufgeblähten Nussschale Rang und Namen hat.

Leider ist die Lektüre seines Buchs auch in manchen Punkten ziemlich desillusionierend: „Es ist ungefähr so, als wenn wir von Europa nach Australien reisen wollten. Wir könnten mehr als 24 Stunden lang mit dem Flugzeug fliegen oder einen Tunnel durch die Erde graben. Wurmlöcher verbinden also weit auseinanderliegende Teile des Universums. Allerdings gibt es die Wurmlöcher nur als mathematische Lösungen, und selbst dort erscheinen sie äußerst instabil.“ (Hanslmeier, S. 123) Schade, sehr, sehr schade.

Reden wir Wissenschaft!

Cover Rovelli, Zeit

Carlo Rovelli: Was wäre, wenn es die Zeit nicht gäbe?

Ebenso interessant wie naheliegend sind dabei die leicht unterschiedlichen Sichtweisen und Analysen der von den beiden beobachteten Objekte und Verhältnisse über, unter, neben, vor und hinter uns. Während Ruth Grützbauch die Homogenität des Universums, die „Weltformel“ oder das „Weltpostulat“ „Das Universum ist homogen und isotrop (Grützbauch, S. 187) und wird ein langweiliges Ende nehmen“ betont, erörtert Arnold Hanslmeier auch die zwei unterschiedlichen Positionen über das Ende dieser uns immer noch im Großen und Ganzen unbekannten Welt: Entweder gibt es eine Expansion auf ewig oder vielleicht ist das Universum doch ein sich zyklisch wiederholendes (Hanslmeier, S. 175–178). Dabei lassen wir einmal die dritte Variante von Carlo Rovelli außen vor, dass es nämlich auch unterschiedliche und möglicherweise unendlich viele Universen gleichzeitig geben müsste. Interessant an Rovellis Vorschlag ist, dass er daraus ableitet, dass wir Menschen uns anständig, das heißt, als gute menschliche Wesen verhalten sollten, weil die Auswirkungen unseres Handelns das Leben der Lebewesen in den anderen Universen beeinflussen könnten. Er meint das weder ironisch noch in einem esoterischen Sinne.

Unterschiedliche, begründete, mit wissenschaftlichen Methoden erarbeitete Positionen und ihre kritische, also nach eben solchen Regeln systematisch erfolgende Erörterungen sind guter wissenschaftlicher Brauch.

Die zahlreichen farbigen Abbildungen in den „Dimensionen des Weltalls“ illustrieren anschaulich die kurzen und präzisen Ausführungen. Im Gegensatz dazu veranschaulichen die wenigen feinen und feinsinnigen Skizzen in Grützbauchs Buch sehr subtil bestimmte Sachverhalte. Bei Hanslmeier sind sie informativ, interessant, ausgewogen und ergänzen anschaulich den Text. Grützbauchs anschauliche und humorvolle Sprache fordert dagegen Farb-Bilder zur Veranschaulichung gar nicht besonders ein. So kam bei der Lektüre bei mir nicht der Wusch auf, nach zusätzlichen Bildern im Internet zu suchen.

In unserer auf Bilder und die am besten fotografische Darstellung von Sachverhalten fixierten Zeit stellt sich überhaupt die Frage, warum wissenschaftliche Sach- und Fachbücher Bilder und Fotos brauchen: als Erweiterung, Ergänzung des Texts, zur Vertiefung der Information oder einfach auch, damit die Leserinnen und Leser nicht das Gefühl bekommen, zu viel Text zu lesen?

Machen wir uns ein Bild.

Doch, doch, ich finde schon, dass Bilder in einem Buch gut sein können. Es kommt eben nur auf das Was, Wer, Wie, Wo und von Wem an.

Bild "Das Planetarium" von Raman Prinja und Chris Wormell

“Das Planetarium” von Raman Prinja und Chris Wormell.

Ein wunderbares Buch in der Kategorie illustrierter Bildbände ist Raman K. Prinjas und Chris Wormells „Das Planetarium“ aus der Reihe „Eintritt frei!“ im Prestel-Verlag. Die spannend formulierten Texte dieses großformatigen Bands bieten einen Überblick über das, was wir über das Universum wissen sollten und/oder vielleicht schon vergessen haben. Damit wird dieser „Museumsrundgang“ gleichermaßen für junge Leserinnen und Leser ab etwa acht Jahren ebenso wie für Erwachsene interessant. Sehenswert sind die Illustrationen von Chris Wormell. Chris Wormell? Ja, er hat auch „Keine Angst vor Ungeheuern!“ geschrieben und gezeichnet.

Nein, wir brauchen keine Angst vor Außerirdischen haben und auch nicht vor intergalaktischen Blitzen (naja, vor denen vielleicht doch ein bisschen), und inzwischen wird an Konzepten gearbeitet, auf unsere Erde zusteuernde Meteoriten von uns abzulenken. In den meisten Fällen werden sie Laufe der Jahrmillionen ihres Wegs aber ohnehin zunehmend kleiner und zerbröseln in der Nähe der Sonne oder beim Eintritt in die Atmosphäre der Planeten, an denen sie alle „heiligen“ Zeiten vorbeiziehen. Darin sind sich Ruth Grützbauch, Arnold Hanslmeier, Raman K. Prinja und Chris Wormell einig. Und deshalb können wir uns weiter mit unserer Erde beschäftigen. Zu tun gibt es ja genug. Und Zeit dafür haben wir nicht mehr sehr viel. Im Gegensatz zum Universum. Das hat alle Zeit der Welt.

Unendliche Weiten

Bild zu Chris Wommel, Keine Angst vor Ungeheuern!

Chris Wommel, Keine Angst vor Ungeheuern!

Sie sehen also, das Universum hat in einer Nussschale Platz – oder in einem Raum einer Unterkunft für Asylsuchende, in dem die großherzige Ruth Grützbauch vor ein paar Jahren ihre transportable Universumschau für Flüchtlingskinder gezeigt hat. Arnold Hanslmeier gibt am Schluss seines Buchs auch Anregungen, wie wir selbst den Himmel und die Sterne beobachten können. Sie sehen also, es ist auch viel Platz für das Universum in spannenden Büchern.

Literatur

Grützbauch, Ruth : Per Lastenrad durch die Galaxis. Berlin (Aufbau Verlag) 2021.

Hanslmeier, Arnold: Dimensionen des Weltalls. Salzburg (Verlag Anton Pustet) 2021.

Prinja, Raman K. und Wormell, Chris: Das Planetarium. München (Prestel Verlag) 2018 [Reihe: Eintritt frei!]

Rovelli, Carlo: Und wenn es die Zeit nicht gäbe? Meine Suche nach den Grundlagen des Universums. Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 2018.

Wormell, Chris: Keine Angst vor Ungeheuern! Mannheim (Sauerländer) 2012.

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